Symbolbild von Sophia Nel auf Pixabay

 

Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Zwicker,

sehr geehrter Herr Kreisdirektor Dr. Hörster,

sehr geehrte Damen und Herren in den Fraktionen des Kreistages!

Ich schreibe Sie in meiner Funktion als Vorsitzender des NABU-Kreisverbandes Borken e.V., da mich die derzeitigen Entwicklungen in unserem Kreis Borken mit großer Sorge erfüllen. Überall hören und lesen wir, dass die Abnahme der Biodiversität und der fortschreitende Klimawandel die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts für die gesamte Menschheit sind. Wissenschaftlich fundiert, gehen immer mehr Institutionen davon aus, dass es letztlich Problematiken sind, von denen das Überleben der Menschheit abhängt. Nicht zuletzt das Europäische Parlament hat sich beider Themenbereiche angenommen, und die Mitwirkenden sehen nicht nur die ökologische Relevanz, sondern auch die ökonomische und gesellschaftliche Tragweite einer sich dramatisch verändernden Umwelt. (https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20200109STO69929/verlust-der-biodiversitat-ursachen-und-folgenschwere-auswirkungen und https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20180905STO11945/die-auswirkungen-des-klimawandels-in-europa-infografik). Diese beiden Links stehen stellvertretend für zahlreiche andere Quellen, die die zunehmende Tragweite dieser Probleme verdeutlichen. Doch was passiert hier im Kreis Borken?

– Wir versiegeln weitere Flächen in großem Stil für Siedlungsbau, Gewerbeansiedlung, Straßen. Und das trotz der demografischen Prognosen, dass die Bevölkerungszahl abnehmen wird. Und das trotz der Erkenntnis, dass versiegelte Flächen das Klima aufheizen und die lokale Niederschlagswahrscheinlichkeit sinken lässt. Wir wissen es besser und handeln trotzdem so, als wären die Erkenntnisse der Wissenschaft auf den Kreis Borken nicht zutreffend! Dazu kommt noch, dass immer wieder auch Baugebiete in besonders ökologisch wertvollen Arealen ausgewiesen werden. Alte Bäume und Hecken werden einfach überplant. Die ökologischen Kompensationsmaßnahmen erfolgen zumeist nicht vor Ort und sind vielfach nicht annähernd das, als was sie bezeichnet werden; ihr ökologischer Wert ist deutlich geringer als der Wert der Fläche, die sich ausgleichen soll! So sterben beispielsweise viele als Ersatz gepflanzte Bäume in den ersten Jahren wieder ab. Noch immer treten benachbarte Kommunen in Konkurrenz zueinander, um Firmenansiedlungen und junge, bauwillige Familien in ihre Gemeinde bzw. Stadt zu locken. Hier bedarf es einer interkommunalen Zusammenarbeit, denn diese Auswüchse führen zu weiteren Flächenversiegelungen.

– Die Flächenversiegelung beschleunigt allerdings nicht nur den Klimawandel, sondern auch die bereits erwähnte Abnahme der Biodiversität. Immer mehr einstige Alltagsarten sind im Kreis Borken kaum noch anzutreffen: Feldlerche, Kiebitz, Rebhuhn, Kuckuck, Nachtigall … die Liste ließe sich endlos ergänzen. Dazu kommen die Insekten, die Amphibien, die Reptilien, verschiedene Pflanzen und Pilze. Jede Art hat ihre Aufgabe in dem ökologischen Geflecht, doch wenn Arten verschwinden und/oder aussterben, dann zieht dies immer Konsequenzen für anderer Arten nach sich. Nicht wenige Wissenschaftler sehen uns nicht nur bezüglich des Klimas auf Kipppunkte zurasen, sondern auch beim Artensterben. Dies kann auch wirtschaftliche Folgen für uns Menschen haben. Es fehlen u.a. Arten, die andere Arten in ihrer Populationsstärke regulieren und es fehlen Bestäuber im Obst- und Gemüseanbau.

– Das Artensterben wird zudem beschleunigt durch den massiven Ausbau der Windkraft. Fledermäuse und große Vögel sind besonders betroffen: Mäusebussard, Rotmilan, Uhu, Weißstorch. Auch diese Auflistung ließe sich um viele andere Arten erweitern.

– Wir haben im Kreis Borken eine intensiv betriebene Landwirtschaft mit großflächigen Monokulturen und einer ausgesprochen hohen Viehdichte, Tendenz weiter steigend. Die Auswirkungen sind bekannt: Gülleflut und hohe Nitratwerte im Grundwasser, Abwasserpilze in den Gräben, Bächen, Flüssen und Seen, Abnahme der Artenvielfalt.

– Der Umgang mit den Fließgewässern ist erschreckend. Die ein bis zwei Mal jährlich durchgeführten Grabenräumungen vernichten sehr viel Leben. Es wird nicht nur entkrautet, sondern zahlreiche Kleinstlebewesen (u.a. auch Wasserinsekten und aquatische Insektenlarven sowie Amphibien und Kleinfische) werden in Massen aufs Land gebracht, und dort vertrocknen sie dann. Die Bäche sind vielerorts zu kleinen Kanälen verkommen, die ausschließlich den Wasserabtransport als Zweck haben. Es ist dringend notwendig, dass Kleinfließgewässer wieder natürliche Retentionsflächen erhalten und die Landwirtschaft die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstände einhält (und dass dies auch überwacht wird).

– Viele Naturschutzgebiete sind in einem suboptimalen Zustand. Mountainbiker verlassen die Wege und rasen durch ökologisch empfindliche Bereiche, teils fahren sogar Autos in die Gebiete, Hunde laufen frei und überall liegt Müll herum. Es finden nach unserer Wahrnehmungen keine oder kaum Kontrollen durch die Kommunen statt. Der Wert vieler Naturschutzgebiete als Rückzugsmöglichkeiten für bedrohte Arten nimmt zunehmend ab.

– Es werden noch immer sehr viele alte Bäume gefällt, Wallhecken in großem Still gerodet und auch andere Hecken fehlen überall als Lebensräume und Biotopverbünde sowie Windbrecher und Schattenspender.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Klima-, Natur- und Artenschutz im Kreis Borken stiefmütterlich behandelt wird. Es ist kein Umdenken erkennbar und auch nicht der Wille, eine Trendwende einzuleiten. Dabei werden die Herausforderungen für die Gesellschaft angesichts eines sich beschleunigenden Klimawandels und einer dramatisch abnehmenden Artenvielfalt immer offensichtlicher.

Aus diesem Grund rufe ich Sie alle als Verantwortliche für die Gestaltung des Kreises Borken auf, sich für mehr Nachhaltigkeit zu engagieren. Es geht um nichts weniger als die Lebensgrundlagen kommender Generationen. Das heute erreichte Wirtschaftswachstum interessiert in zehn Jahren keinen Menschen mehr. Doch wenn das Trinkwasser knapp wird, Obstbäume und andere Nutzpflanzen nicht mehr bestäubt werden, wenn sich Innenstädte und Siedlungen auch nachts nicht mehr abkühlen, dann sind wir an dem Punkt angekommen, an dem es sehr schwer und zugleich sehr teuer wird gegenzusteuern. Lassen Sie uns gemeinsam den Herausforderungen begegnen! Der Naturschutzbund ist jedenfalls bereit zusammen mit den Akteuer*innen aus Politik und Verwaltung die Zukunft unseres Kreises, unserer gemeinsamen Heimat, ökologischer und nachhaltiger zu gestalten!

Mit freundlichen Grüßen,

Michael Kempkes